Wahljahr 2017: Zeit zu reden

07. Januar 2018

Wir müssen reden. Nachdenken. Reflektieren. Das Jahr 2017 – es wird nicht als Sternstunde in die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie eingehen.

Nach einem verheißungsvollen Start mit der Kür von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten und einem fast surrealen Aufschwung in den Umfragen, zeigte sich, dass Umfragen eben Umfragen und Wahlen eben Wahlen sind. Die Niederlagen der SPD bei den Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein waren bereits erste Warnsignale dafür, dass sich der theoretische Aufwärtstrend am Jahresanfang nicht in der Realität widerspiegelt.

Doch spätestens beim katastrophalen Wahlausgang im SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen war den meisten Genossinnen und Genossen wohl klar, dass die Vorzeichen für die Bundestagswahl alles andere als positiv sind. Es ist nicht so, dass die Themen grundlegend falsch gesetzt waren. Und es ist schon gar nicht so, dass die SPD keinen engagierten Wahlkampf geführt hätte. Allein, am Ende gaben nur 20,5 Prozent der Wähler der SPD ihre Stimme, es gibt am schlechtesten Bundestagswahlergebnis aller Zeiten für unsere Partei äußerst wenig schönzureden.

Der knappe Wahlsieg der Niedersachsen-SPD mit Stephan Weil kann und vor allem sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die SPD nach diesem Jahr 2017 gründlich hinterfragen muss.

Wie konnte es zu diesem Vertrauensverlust bei den Wählern kommen? Ist es tatsächlich so, dass die SPD in den letzten vier Jahren in der Großen Koalition zerrieben wurde? Dass sie trotz guter Arbeit, zahlreichen umgesetzten Reformen und konstruktivem Regieren abgestraft wurde, weil die SPD einfach nicht aus dem scheinbar so übermächtigen Schatten von Angela Merkel herausgekommen ist? Sind Themen wie soziale Gerechtigkeit heute für den Wähler nicht mehr entscheidend, war unser Wahlkampf nicht innovativ, vielleicht sogar nicht aggressiv genug? Haben wir uns zu oft an den kruden Thesen der AfD abgearbeitet, anstatt den Bürgern dieses Landes unsere eigenen Werte zu vermitteln? Oder ist es schlussendlich vielleicht sogar so, dass sich das Zeitalter der Volksparteien in Deutschland seinem Ende nähert und das Wahlergebnis aus dem September der Auftakt exakt dieser Entwicklung ist?

All diese Fragen beinhalten in gewisser Weise auch Erklärungsansätze, in allen von ihnen steckt ein Funke Wahrheit, in manchen ein größerer, in anderen nur ein kleiner. Und dennoch tun wir Sozialdemokraten gut daran, diese Fragen als das zu betrachten, was sie sind: Nämlich Fragen. Und keine letztgültigen Antworten, die man abnickt und dann mit einem „Jetzt geht’s weiter“ im Archiv begräbt. Die Antworten auf diese Art Fragen können nicht einfach sein, sie sind sicher oft schmerzhaft, aber vor allem müssen sie eines sein: Ehrlich.

Damit keine Missverständnisse aufkommen, diese Antworten können auch an dieser Stelle nicht gegeben werden. Dazu sind sie zu komplex und natürlich bedarf es zunächst einer tieferen Analyse, ehe man sich anmaßt, das Geschehene halbwegs plausibel zu erklären. An dieser Stelle ist auch die SPD-Basis gefragt, die tagtäglich in Kontakt mit den Bürgern dieses Landes steht, die ihre Bedürfnisse, Sorgen und Ängste möglicherweise besser kennt, als dies der Parteivorstand zu leisten imstande ist. Aus dieser Sicht ist die Initiative von Martin Schulz zu begrüßen, die Basis wieder stärker in das Parteigeschehen einzubinden. Allerdings kann das nur ein Anfang sein. Es geht auch darum, sich als Volkspartei zu fragen, ob man diesem Anspruch derzeit noch gerecht wird. Erreicht die SPD mit ihren Themen tatsächlich noch weite Teile der Bevölkerung oder bedarf es zumindest in Teilen einer programmatischen Neuausrichtung, um verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen? Damit ist nicht gemeint, sich auf das populistische Terrain der AfD zu begeben und auf komplizierte Sachverhalte mit auf Stammtisch-Niveau reduzierten Parolen zu reagieren.

Doch vielleicht sind manche Aspekte im Wahlkampf zu kurz gekommen, die unter Umständen auch von der SPD stärker gespielt hätten werden müssen. Die immer schneller voranschreitende Digitalisierung wird beispielsweise eines der wichtigsten Themen der Zukunft sein. Haben wir als SPD im Wahlkampf wirklich alles dafür getan, um den Bürgern hierfür plausible Entwicklungskonzepte vorzulegen? Bildung ist eines der höchsten Güter unserer Gesellschaft, war unser Ansatz wirklich visionär genug, um die Bürger davon zu überzeugen, dass die Investitionen in dieses hohe Gut ein erfolgreiches Bildungssystem in den nächsten Jahrzehnten garantieren? Sicherheit ist in Zeiten des internationalen Terrorismus einer der zentralen Punkte allen politischen Handelns. Umfragen zeigen immer wieder, dass der SPD im Vergleich zu den Unionsparteien bei diesem so wichtigen Aspekt Kompetenz abgesprochen wird. Warum aber ist das so?

Wie man sieht, die Fragen werden nicht weniger, die Antworten nicht einfacher. Es schadet daher nicht, wenn die SPD als ganzes, aber auch alle ihre Mitglieder am Ende dieses so schwierigen Jahres noch einmal in sich gehen. Denn die Herausforderungen im nächsten Jahr werden nicht kleiner, die Landtagswahl in Bayern sei nur stellvertretend hierfür genannt. Wir müssen jetzt Antworten finden. Reflektieren. Nachdenken. Wir müssen reden.

Text: Sebastian Binder

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