Die Zukunft nach dem Wahlsieg

16. Dezember 2021

Das Jahr 2021 war ein besonderes für die SPD: Nach 20 Jahren sind die Sozialdemokraten wieder stärkste Kraft im Land. Wie ist das passiert? Und was sind die Herausforderungen der nächsten Jahre?

Wir schreiben den April 2021: Die SPD dümpelt in den Umfragen irgendwo um die 15 Prozent herum. Manche Spötter zweifeln bereits das Erreichen der 5-Prozent-Hürde an. Ein SPD-Kanzler? Ungefähr so realistisch wie die Abwahl der CSU in Bayern. Wir schreiben den 26. September 2021: Die ersten Prognosen werden verkündet und die SPD ist die stärkste Partei in Deutschland. Auch wenn der Trend in den Wochen zuvor das schon angedeutet hatte, so manche Genossin und so mancher Genosse dürfte sich bei der Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses trotzdem noch einmal verwundert die Augen gerieben und sich sogar zweimal gezwickt haben. Denn tatsächlich ist die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen erstmals seit fast 20 Jahren wieder die stärkste Kraft im Land. Aber was ist in diesen fünf Monaten passiert? Wie konnte aus dem „aussichtslos Abgeschlagenen“ in so kurzer Zeit der Wahlsieger werden?

Im Endeffekt hat die Erklärung mit drei Namen zu tun: Der erste Name ist selbstverständlich Olaf Scholz. Der SPD-Kandidat für das Kanzleramt strahlte das aus, was sich die Menschen in diesem Land in schweren Zeiten wünschen. Erfahrung, Verlässlichkeit, Seriosität. Scholz machte vor allem keine Fehler und war auf seine hanseatisch-nüchterne Art für viele Wählerinnen und Wähler der richtige Mann zur richtigen Zeit. Der zweite Name ist Armin Laschet. Der Kanzlerkandidat der CDU war nach früheren Umfragen, in denen die Union teilweise 20 Punkte vor der SPD lag, eigentlich prädestiniert für das wichtigste Amt im Staat. Doch Laschet vergeigte seine große Chance, was zunächst an eigenen Fehlern – sein Lachen in den Flutkatastrophengebieten dürfte ihn viel Vertrauen gekostet haben – lag, aber auch am wenig geschlossenen Auftreten der Union selbst. Der dritte Name ist Annalena Baerbock. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als könnten die Grünen erstmals in der deutschen Geschichte die Kanzlerin stellen. Und tatsächlich hat der Gedanke, dass eine junge Frau, für die der Klimaschutz an erster Stelle steht, dieses Land führt, zunächst durchaus etwas Sympathisches. Doch auch Baerbock musste lernen, dass etwas mehr dazugehört, wenn man sich für dieses Amt bewirbt. Fehler wie ein frisierter Lebenslauf oder abgeschriebene Buchpassagen werden auf diesem Level nicht mehr verziehen und daher zeichnete sich alsbald ab, dass der Traum vom „grünen Kanzleramt“ in den nächsten vier Jahren ein Traum bleiben wird. Man kann also sagen, dass neben Scholz die beiden besten Wahlkämpfer der SPD Laschet und Baerbock hießen.

Doch damit würde man vor allem den vielen Genossinnen und Genossen Unrecht tun, die in diesem Jahr den vielleicht engagiertesten Wahlkampf der SPD seit langer Zeit geführt haben. Denn anders als die Union zeichnete sich die deutsche Sozialdemokratie in den Monaten vor der Wahl vor allem durch eine Tugend aus: Geschlossenheit. Selten war es so „still“ in der Partei, selten gab es so wenige interne Störfeuer, keine Stimmen, die statt konstruktiven Vorschlägen unbrauchbare Kritik über die Medien lancierten. Hier muss man auch den beiden SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans einmal ein Lob aussprechen, denn sie haben es durch ihre unaufgeregte Art geschafft, das oftmals nach mehreren Richtungen gleichzeitig ausscherende Konglomerat SPD auf Linie zu halten und alle Genossinnen und Genossen, alle Unterstützerinnen und Unterstützer auf das eine große Ziel einzuschwören: Den Wahlsieg 2021. Und ja, dieser Sieg gehört auch Esken und Walter-Borjans, genauso wie er allen Helferinnen und Helfern gehört, mit deren Unterstützung die SPD wieder zur größten Partei im Land werden konnte.

Doch selbstverständlich ist die Zeit für Feierlaune längst vorbei, jetzt muss die SPD beweisen, dass sie dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger auch gerecht wird. Die Herausforderungen, die die neue Regierung angehen muss, sind nicht nur groß, sondern gewaltig. Zunächst einmal muss endlich ein Weg aus der Pandemie gefunden werden, denn die Deutschen sind Corona leid, was wir vermutlich mit allen Menschen auf dieser Welt gemeinsam haben. Einfach so wird das aber nicht gehen, es braucht weiterhin sinnvolle Konzepte, um einerseits die Inzidenzen zu drücken, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und auf der anderen Seite die Freiheit der Deutschen nicht unnötig zu beschneiden. Vor allem die Kinder, die unter der Pandemie mit am meisten gelitten haben, müssen so gut wie möglich geschont werden. Doch mit der Pandemie enden die Herausforderungen natürlich nicht, es wird weitere zentrale Projekte geben, die die Bundesregierung unter Kanzler Scholz angehen muss. Allen voran der Kampf gegen den Klimawandel, der auf vielen verschiedenen Ebenen geführt werden muss. Das fängt an bei einem Wandel der Mobilität, mehr E-Autos, gravierende Verbesserungen im Nah- und Fernverkehr und geht bis zur Dämmung von Häusern, der Herstellung von grünem Strom hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft.

Dann gibt es die schöne Phrase, dass das „Land zukunftsfest gemacht werden muss“. Corona hat gezeigt, dass ein eigentlich hochentwickeltes Land wie Deutschland ausgerechnet bei der Digitalisierung weit hinterherhinkt. Hinzu kommen große Lücken beim Breitbandausbau und der Abdeckung von Blindspots beim mobilen Internet. Auch im Gesundheitssystem und insbesondere in der Pflege besteht dringender Reformbedarf, wie Corona uns allen schonungslos vor Augen geführt hat. Und das sind nur einige innenpolitische Probleme, die dringend gelöst werden müssen. Auf europäischer wie internationaler Ebene sind die Aufgaben kaum kleiner: Der Rechtspopulismus ist keineswegs zurückgedrängt, im Gegenteil, die Gefahr ist groß, dass Corona die Spaltung vieler europäischer Gesellschaften und damit das weitere Auseinanderdriften der Gemeinschaft als Ganzes noch einmal forciert. An den Grenzen der EU deuten sich neue Fluchtdramen an, niemand kann bislang beziffern, wie sich der Brexit tatsächlich auswirkt und dann gibt es immer noch die großen unbekannten Krisen, die man heute noch nicht benennen kann, aber die verlässlich auf uns zukommen wie Corona oder die Finanzkrise uns deutlich vor Augen geführt haben. Auf die SPD und ihre Koalitionspartner wartet also eine Menge Arbeit, um dieses Land, um diesen Kontinent nun ja, eben zukunftsfest zu machen.

Text: Sebastian Binder

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