Der Status einer Volkspartei

31. Dezember 2018

Der Weg der deutschen Sozialdemokratie, wo führt er hin? War diese Frage bereits nach der Bundestagswahl 2017 drängend, so ist sie spätestens nach dem schwachen Ergebnis bei der Landtagswahl in Bayern akut geworden.

Die SPD ist nur noch fünftstärkste Kraft im Freistaat, von den Grünen um Längen abgehängt und – das ist vielleicht der bitterste Punkt – in Bayern sogar hinter die AfD zurückgefallen. Die Wahlanalysen deuten an, warum das der Fall ist: Niemand weiß mehr wirklich, wofür die SPD eigentlich steht. Wichtige Themenfelder wie Umwelt-, Arbeitsmarkt- oder Migrationspolitik werden von den anderen Parteien scheinbar glaubwürdiger besetzt, selbst in ihrem Kernfeld „soziale Gerechtigkeit“ hat die SPD an Profil verloren.

Man muss es am Ende des Jahres 2018 leider so deutlich sagen: Die SPD steht nicht nur in Bayern, sondern auch im Bund vor einem Scherbenhaufen. Als Sozialdemokrat hat man mittlerweile fast Angst, wenn der neueste Deutschlandtrend veröffentlicht wird, weil man sich praktisch darauf verlassen kann, dass die SPD einmal mehr in den Umfragen gesunken ist. Der Status als Volkspartei, kann er noch aufrecht erhalten werden? Ist es nach den letzten Wahlergebnissen überhaupt noch sinnvoll, sich als solche zu bezeichnen?

Die deutsche Sozialdemokratie blickt auf eine lange, stolze Geschichte zurück: Das Eintreten für die Arbeiterrechte zum Ende des 19. Jahrhunderts, der Widerstand gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis, der Friedensnobelpreis für die Ostpolitik von Willy Brandt. Die SPD hat sich immer dadurch ausgezeichnet, dass sie selbst unter widrigsten Umständen ihre Positionen vertreten hat und die Zeit hat ihr am Ende (oft) recht gegeben.

Wieder ein klares Profil finden

Den Status einer „Volkspartei“, also einer Partei, die Politik für das ganze Volk macht, hat sich die SPD über Jahrzehnte erarbeitet, mit einer klugen, mutigen, nicht selten sogar visionären Politik.

Und vielleicht ist es genau das, was der SPD im Hier und Heute fehlt. Natürlich, die Zeiten sind komplizierter geworden, die globalisierte Welt ist komplexer als sie es noch vor 50, 100 Jahren war. Mit einfachen Phrasen ist niemandem geholfen, schwierige Fragen bedürfen schwieriger Antworten, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie auch schwieriger zu vermitteln sind. Das heißt aber nicht, dass es unmöglich ist, sich in der komplexen Gegenwart ein klares Profil zu geben. Die Herausforderungen werden nicht kleiner, ganz im Gegenteil.

Ob Klimawandel, Digitalisierung, Einwanderung, Pflege, das Wachsen der sozialen Ungleichheit, die zunehmende Europaverdrossenheit oder der immer schneller voranschreitende Rückfall in übersteigerten Nationalismus – Probleme, die es zu lösen gilt, gibt es mehr als genug. Die SPD ist an sich inhaltlich gut genug aufgestellt, um all diese Themenfelder sinnvoll zu besetzen. Nur muss es nun darum gehen, eben dieses den Wählerinnen und Wählern auch zu vermitteln. Denn der SPD ist nicht geholfen, wenn sie zwar Lösungen anbietet, davon aber niemand Notiz nimmt.

Das betrifft natürlich auf der einen Seite die Bundes-SPD, denn es ist unstrittig, dass das zweifelhafte Auftreten der Großen Koalition in weiten Teilen des Jahres 2018 eine nicht zu stemmende Bürde für die BayernSPD im Landtagswahlkampf war. Dennoch greift es zu kurz, das schwache Abschneiden nur auf die Regierung zu schieben. Die Landesverbände müssen sich ebenso wie die Kreis- und Ortsverbände hinterfragen, ob in den letzten Jahren tatsächlich alles dafür getan wurde, um die Menschen von sozialdemokratischer Politik zu überzeugen.

Europawahl 2019 als zentrales Ereignis

Die Antwort auf diese grundlegende Frage sollte schnell gefunden werden, denn bereits im Mai steht mit der Europawahl das nächste zentrale Ereignis an. Die Gefahr ist groß, dass die europafeindlichen Kräfte den Schwung aus ihren jeweiligen Ländern mitnehmen und ihn nach der Wahl direkt ins Herz der EU tragen. Sollten auch in Brüssel die Skeptiker, Zweifler und Feinde Europas die Oberhand gewinnen, dann geht wohl der ganze Kontinent sehr schweren Zeiten entgegen.

Die SPD hat also schon bald eine sehr große Chance, ihr ramponiertes Image in den nächsten Wochen und Monaten wieder aufzupolieren. Denn eines war die SPD immer: Eine Partei, die die Vorteile und Möglichkeiten, die den Menschen durch die europäische Einigung zuteil wurden, verstanden und daher kontinuierlich weiter ausgebaut hat. Und ein klarer pro-europäischer Kurs mit sinnvollen, mutigen, vielleicht sogar visionären Angeboten, kann auch den Wähler überzeugen, wie Emmanuel Macron bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich bewiesen hat.

Es ist also an der Zeit, den Scherbenhaufen zusammenzukehren, aus dem Tal herauszukommen und wieder das zu demonstrieren, was die SPD einst stark gemacht hat: Sich auch von widrigen Umständen nicht beirren zu lassen und Politik zu machen, die auf die Bedürfnisse des Volkes ausgerichtet ist. Denn genau das sollte der Anspruch einer Volkspartei sein. Völlig unabhängig davon, ob sie das laut Umfragen noch ist.

Text: Sebastian Binder

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